Freitag, 12. April 2013

Film-Review: Drive (2011)

(ursprünglich veröffentlicht auf moviepilot.de, Februar 2012)




Es kommt dieser Tage nicht gerade oft vor, dass aktuelle Kinofilme derart beeindrucken können, dass ein Review dazu wirklich den Aufwand rechtfertigen würde. Doch Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel und das Privileg dieser Ausnahme gebührt dem gerade angelaufenen Drive wie kaum einem Film der letzten paar Jahre.

Nach Sichtung von Titel, Filmposter und Trailer habe zumindest ich eher einen weiteren Transporter-Abklatsch erwartet, weswegen mich eine Vorhersage von 9,0 auf MP schon ein wenig stutzig machte und letztlich den Ausschlag gab die 5,50 €-Investition (es lebe der Studentenrabatt!) ins heimische Lichtspielhaus zu riskieren.

Die Story ist relativ schnell erzählt und auch nicht gerade der Glanzpunkt dieses Streifens. Drive definiert sich viel mehr über das “WIE?” denn über das “WAS?”, trotzdem sei der Plot hier kurz umrissen:
Der namenlose Driver (Ryan Gosling) arbeitet tagsüber in der Autowerkstatt seines väterlichen Freundes Shannon (Bryan Cranston) und nebenbei als Hollywood-Stuntman. Nachts bietet er sein überragendes Talent hinterm Steuer als Fluchtwagenfahrer mit Prinzipien in Los Angeleles Unterwelt an. Jason Statham lasst grüßen. Bis hierhin zumindest. Eines Tages lernt der Driver die alleinerziehende Irene (Carey Mulligan) kennen, deren Mann gerade die letzten Wochen einer längeren Haftstrafe verbüßt und die überraschenderweise die direkte Nachbarin des Drivers ist. Es entwickelt sich eine zarte Love-Story, (so viel Zugeständnis an das bekannte Blockbuster-Schema muss wohl sein) bis Irenes Mann Standart (Oscar Isaac) aus dem Zuchthaus entlassen wird. Und der bringt – wiederum nicht gerade unerwartet – einen ganzen Haufen Ärger in Gestalt einiger recht übellauniger und ihm nicht wirklich wohlgesinnter Gestalten mit sich.
Wo jeder andere sich zumindest heimlich freuen würde, dass dem Rivalen die Schlinge quasi schon um den Hals liegt, entscheidet der Driver sich jedoch Irene zuliebe, sein fahrerisches Talent für die Rehabilitierung von Standart einzusetzen. Die Sache geht schief und der Driver, Irene, Standart und sogar Shannon geraten in wirklich ernsthafte Probleme. Mehr sei dazu nicht hier nicht verraten, der Rest ist ohnehin einigermaßen vorhersehbar. Der Anspruch des Drehbuch ist es ohnehin nicht irgendein kompliziertes Konstrukt à la Fight Club zu erschaffen, die Prioritäten liegen schlicht woanders.

Es ist die Eindringlichkeit und Atmosphäre mit der Regisseur Nicolas Refn (der schon in Walhalla Rising bewies, dass er kein Mann der vielen Worte ist) und sein Star Ryan Gosling hier etwas Besonderes erschaffen. Gosling gelingt es beinahe die legendären 58 Worte, die Arnold Schwarzenegger in Terminator I sprach, zu unterbieten. In manchen Szenen verweilt die Kamera für gefühlte Stunden einfach auf seinem Gesicht, oder fängt einen tiefen Blickwechsel mit Carey Mulligan ein. Den Rest erledigt der geniale (!) Soundtrack. Drive braucht einfach keine Worte. Wird in manchem Action-Blockbuster – und HIER liegt der Unterschied zu The Transporter, The Fast and The Furious und Konsorten (wenngleich die beiden genannten auf ihre Art ebenfalls gute Filme sind und definitiv ihre Daseinsberechtigung haben) – die Abwesenheit von Dialogen v.a. als Freifahrtschein gesehen, noch ein paar Autos mehr zu zerschroten, erhebt Refn dieses Stilmittel, gemeinsam mit Goslings genialer Mimik zum Kunstobjekt, durch welches tiefe Melancholie und nervenzerfetzende Spannung gleichermaßen erzeugt werden.

—SPOILER—
Wem nach dem finalen Showdown – wenn die Kamera langsam am Bein des Drivers hochgleitet um dann minutenlang auf dessen Gesicht zu verweilen, wärend unklar bleibt ob dieser nun überlebt hat oder nicht – nicht der Puls bei 240 schlägt, der ist vermutlich bereits hirntot.
—SPOILER ENDE—

Obwohl Drive zu einem großen Teil von Goslings Spiel lebt – von der Ambivalenz des beinahe zerbrechlich wirkenden Namenlosen der in Sekundenbruchteilen zum wahnsinnigen Berserker wird – tragen auch Carey Mulligan und die Gangster-Mimen Albert Brooks und “Hellboy” Ron Perlman, sowie eigentlich der gesamte Rests des Casts zum Gesamtkunstwerk bei. Sie alle spielen echte Charaktere, im klassischen Wortsinne, Menschen mit Tiefe, mit Hintergründen und Abgründen, was heute leider nicht mehr allzu oft den Weg auf die große Leinwand findet. Außerdem sei an dieser Stelle noch einmal der wirklich genial passende Soundtrack erwähnt, der wirklich jede Szene, jede Gesichtsregung und jeden Blick punktgenau untermalt und unglaublich aufwertet.

Das FSK18-Rating trägt Drive übrigens absolut zu Recht, auch wenn man es nach meinem bisherigen Geschreibsel vielleicht nicht unbedingt erwarten würde. Die Splatterszenen sind wirklich nichts für schwache Nerven (Stichwort “Pumpgun”), sodass die heftigen Gewaltausbrüche eher eine er- und abschreckende Wirkung haben, zumal sie im absoluten Kontrast zum restlichen Erzähltempo stehen.

Fazit: Drive ist weder ein Film der vielen Worte, noch der ausartenden (Auto-)Aktion, wobei zumindest letzteres von mir so nicht erwartet wurde. Er ist quasi das Gegenteil des In Time, bei dem eine gute Grundidee zu einem eher mittelmäßigen 08/15-Actioner verwurstet wurde. Drive ist sicher nicht der heilige Gral der Storykomplexität (und für den einen Punkt Abzug verantwortlich), aber er spielt seine Stärken gnadenlos aus. Er gleicht einem System Of A Down-Song, manchmal sanft, langsam und fragil, plötzlich so brutal und eruptiv, dass man glauben mag plötzlich in einem völlig anderen Film zu sitzen, nur um dieses Tempo im nächsten Augenblick wieder völlig rauszunehmen. Das ist spannend, das ist innovativ, das ist Kunst.

9/10

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